Arbeitsrecht und Insolvenz
Zuletzt die Insolvenz von Neckermann in Frankfurt am Main rückt die Bedeutung des Arbeitsrechts in der Insolvenz wieder ins öffentliche Interesse. Die arbeitsrechtlichen Gesetze, insbesondere der Kündigungsschutz, werden im Falle einer Insolvenz keineswegs außer Kraft gesetzt, sondern behalten weiterhin ihre Gültigkeit. Kündigungsschutzklagen trotz Insolvenz sind also durchaus zulässig und auch keinesfalls von vornherein sinnlos. Dass der Insolvenzverwalter mit verkürzten Fristen kündigen kann, ändert daran nichts.
Zentrale Fragen sind aber auch, ob während einer Insolvenz trotz Lohnrückstands weitergearbeitet werden muss, unter welchen Voraussetzungen Arbeitslosengeld beansprucht werden kann und wie es sich mit dem Insolvenzgeld verhält.
I. Bestand des Arbeitsverhältnisses bleibt unberührt
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat keine Auswirkung auf Bestand und Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Beide Vertragsparteien sind auch in der Insolvenz ohne Einschränkung zur Erbringung der wechselseitigen Leistungen verpflichtet. Der Insolvenzverwalter übernimmt kraft Gesetzes die Arbeitgeberfunktion mit allen damit zusammenhängenden Rechten und Pflichten, gleichgültig, ob sie auf gesetzlicher, tarifvertraglicher, betriebsverfassungsrechtlicher oder einzelvertraglicher Regelung basieren (siehe auch § 108 Abs. 1 InsO).
Die Insolvenz erweitert auch nicht das Direktionsecht des Insolvenzverwalters. Fraglich ist aber, ob der Insolvenzverwalter freistellen kann (siehe Meyer NZA 2011, 1249).
II. Insolvenz kein Kündigungsgrund
Die Insolvenzeröffnung stellt keinen Grund dar, der eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt (BAG 29.9.2005 NZA 2006, 720). Auch in der Insolvenz bleibt es bei den allgemeinen Regeln des Arbeitsrechts über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Auch der Insolvenzverwalter muss neben dem allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Kündigung beachten, etwa das Schriftformerfordernis nach § 623 BGB, die Beteiligungsrechte des Betriebsrats oder die Zustimmungserfordernisse bei schwerbehinderten ArbeitnehmerInnen, während der Elternzeit oder im Mutterschutz.
Die §§ 113, 125–128 InsO enthalten lediglich einige insolvenzspezifische Sonderregelungen für die Kündigung von Arbeitsverhältnissen.
§ 113 S. 1 InsO bestimmt, dass das Dienstverhältnis ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung gekündigt werden kann. Damit können auch unkündbare oder befristete Arbeitsverhältnisse gekündigt werden. Das ändert aber nichts am Kündigungsschutz oder an den Zustimmungserfordernissen. § 113 S. 1 InsO ist kein insolvenzbedingtes Sonderkündigungsrecht des Insolvenzverwalters! (BAG 29.5.2005 NZA 2006, 720). Gesetzliche Kündigungsbeschränkungen gelten weiterhin (BAG 17.11.2005 NZA 2006, 370).
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens berührt auch den Bestand des Ausbildungsverhältnisses nicht.
III. Kündigungsfrist nach § 113 S. 2 InsO
Eingeschränkt durch die Insolvenz ist allerdings die Kündigungsfrist, was – wie gesagt – nichts mit dem Kündigungsschutz zu tun hat. Die Kündigungshöchstfrist in der Insolvenz beträgt gem. § 113 S. 2 InsO drei Monate zum Monatsende und verdrängt damit jede andere längere Kündigungsfrist. Die Kündigungshöchstfrist erlangt keine Bedeutung, wenn eine kürzere Kündigungsfrist maßgeblich ist.
IV. Kündigungsschutzklage
Für die Erhebung der Kündigungsschutzklage gelten in der Insolvenz keine Besonderheiten. Allerdings ist es mitunter schwierig, den richtigen Beklagten zu ermitteln. Das hängt unter anderem auch von der Stellung des Insolvenzverwalters ab (Meyer, Kündigung im Arbeitsrecht Rn. 227 ff.). Die Klage ist gegen denjenigen zu richten, der im Zeitpunkt der Klageerhebung die Arbeitgeberstellung innehat, was nicht zwangsläufig derjenige ist, der noch die Kündigung selbst ausgesprochen hat (ausführlich Zwanziger § 185 Rn 85 ff). Insoweit ist größte Vorsicht geboten, denn die Kündigungsschutzklage ist innerhalb von 3 Wochen zu erheben (§ 4 KSchG), verspätet eingegangene oder falsch erhobene Klagen führen regelmäßig dazu, dass die Kündigung nicht mehr erfolgreich angegriffen werden kann.
V. Kündigung durch den Arbeitnehmer
Vielfach stellt sich ArbeitnehmerInnen in der Insolvenz die Frage, selbst zu kündigen, etwa weil sie seit längerer Zeit kein Gehalt bekommen haben oder weil sie so schnell wie möglich ein zukunftsträchtigeres Arbeitsverhältnis begründen möchten.
Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer gelten, abgesehen von der Regelung des § 113 InsO, keine insolvenzspezifischen Besonderheiten. Insbesondere begründet allein die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein außerordentliches Kündigungsrecht des Arbeitnehmers. Bei längeren, vereinbarten Kündigungsfristen gilt aber auch für die ArbeitnehmerInnen die Dreimonatsfrist des § 113 S. 2 InsO.
VI. Lohnrückstände und Insolvenzgeld
Befindet sich der Arbeitgeber bereits mit erheblichen Gehaltszahlungen im Rückstand oder wird das Insolvenzverfahren sehr spät eröffnet, sind nicht selten Gehaltsansprüche aufgelaufen, die nicht mehr vom Insolvenzgeldzeitraum nach § 165 Abs. 1 SGB III gedeckt sind. Die Durchsetzung dieser Ansprüche als Insolvenzforderungen bringt meist wenig nichts.
Wegen erheblicher Lohnrückstände darf der Arbeitnehmer fristlos kündigen, er muss aber vorher abmahnen (BAG 26.7.2007 – 8 AZR 796/06, NZA 2007, 1419). Eine Sperrzeit nach § 159 SGB III tritt nicht ein, wenn der Arbeitslose einen wichtigen Grund für die Lösung des Arbeitsverhältnisses hatte. Dazu zählt auch die Insolvenz (9.1.1 Abs. 1 Nr. 4 der DA der Bundesagentur für Arbeit zu § 144 SGB III, Stand 04/2011).
VII. Betriebsübergang in der Insolvenz
§ 613 a BGB findet auch in der Insolvenz Anwendung (BAG 30.10.2008 NZA 2009, 432). Die Arbeitsverhältnisse gehen also auf einen Betriebserwerber über, der ein Unternehmen in bzw. aus der Insolvenz übernimmt. Allerdings haftet der Betriebserwerber nicht für Ansprüche, die bereits bei Insolvenzeröffnung entstanden sind, sondern nur für danach entstandene Ansprüche. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Haftungsausschluss ist die Insolvenzeröffnung (BAG 26.3.1996 NZA 1997, 94).
Damit kommt auch ein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers in Betracht. Er besteht allerdings nicht, wenn erst nach Ablauf der Kündigungsfrist ein Betriebsübergang stattfindet (BAG 28.10.2004 NZA 2005, 405). Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten kann vorliegen, wenn der Betriebsübergang absichtlich erst nach Ablauf der Kündigungsfrist vollzogen wird (BAG 28.10.2004 NZA 2005, 405).
VIII. Insolvenzgeld
Nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 SGB III hat ein Arbeitnehmer mit Ansprüchen auf Arbeitsentgelt bei Vorliegen eines Insolvenzereignisses Anspruch auf Insolvenzgeld. Als Insolvenzereignis gelten nach § 165 SGB III die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers, die Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse und die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Der Anspruch wird durch das zeitlich früheste Ereignis ausgelöst (BSG 21.11.2002 NZA-RR 2003, 430). Für Ansprüche nach Insolvenzeröffnung kann der Arbeitnehmer kein Insolvenzgeld mehr beanspruchen. Das Insolvenzgeld schützt den vorleistungspflichtigen Arbeitnehmer vor dem Risiko des Lohnausfalls bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers und wird nach den §§ 358 ff SGB III durch Umlagen der Arbeitgeber finanziert.
Der Anspruch auf Insolvenzgeld besteht für das ausgefallene Arbeitsentgelt, das auf die letzten drei dem Insolvenzereignis vorausgehenden Monate entfällt. War das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Insolvenzereignisses bereits beendet, endet die Dreimonatsfrist mit dem letzten Tag des Arbeitsverhältnisses.
Zum Arbeitsentgelt gehören alle Geld- und Naturalleistungen, die der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis als Gegenwert für die von ihm geleistete Arbeit oder als Ersatz der von ihm bei Erbringung der Arbeitsleistung entstandenen Auslagen ohne Rücksicht auf Lohn- und Sozialversicherungspflicht zu beanspruchen hat.
Abfindungen und Urlaubsabgeltung unterfallen allerdings nicht dem Insolvenzgeld. (BSG 6.5.2009 NZA-RR 2010, 269).
Das Insolvenzgeld entspricht dem rückständigen Nettoentgelt, höchstens jedoch bis zur Beitragsbemessungsgrenze nach § 341 Abs. 4 SGB III (§ 167 Abs. 1 SGB III nF). Die Agentur für Arbeit zahlt auf Antrag der zuständigen Einzugsstelle auch die für den Insolvenzgeldzeitraum rückständigen Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung. Gem. § 168 S. 1 SGB III kann auf Antrag die Agentur für Arbeit einen Vorschuss auf das Insolvenzgeld erbringen.
IX. Frist für das Insolvenzgeld: 2 Monate
Das Insolvenzgeld wird nur auf Antrag gezahlt, der binnen einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach der Insolvenzeröffnung, der Abweisung mangels Masse oder der tatsächlichen vollständigen Betriebsstilllegung zu stellen ist, § 324 Abs. 3 SGB III. Bei unverschuldeter Fristversäumnis ist eine Nachholung innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes möglich, § 324 Abs. 3 S. 2 SGB III.
X. Arbeitslosengeld
Wird der Arbeitnehmer von dem zahlungsunfähigen Schuldner, dem vorläufigen Insolvenzverwalter oder später vom Insolvenzverwalter freigestellt und wird zugleich die Gehaltszahlung eingestellt, steht dem Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Gleichwohlgewährung Arbeitslosengeld zu, § 157 Abs. 3 SGB III . Der Anspruch geht auf die Bundesagentur für Arbeit über, § 115 Abs. 1 SGB X. In Höhe dieser Ansprüche verliert der Arbeitnehmer seine Aktivlegitimation. Er kann Vergütungsansprüche, die wegen der Zahlung von Arbeitslosengeld auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen sind, aber im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft für die Bundesagentur geltend machen (BAG 19.3.2008 NZA 2008, 900).